Notburgahöhle
Das Ufer steigt hier abrupt um mehrere Meter an. Das zeigt die Kraft, mit der sich der Neckar in vergangenen Zeiten in den Kalkfelsen gegraben hat. Heute fließt er vergleichsweise gemächlich voran. Die Felswand ist von Bäumen und Sträuchern überwuchert. Nur zu leicht kann dem Auge der efeubehangene Höhleneingang beim Vorbeirudern entgehen. Ein schmaler Aufstieg führt vom Ufer hier hinauf. Er ist nur wegen des verrosteten Eisengeländers zu erkennen. Kein Hinweis auf die Höhle hier noch in den naheliegenden Orten Hochhausen oder Neckarzimmern. Dabei sei der Ort doch jedem Kinde bekannt, wussten noch die Gebrüder Grimm in Band 1 ihrer Deutschen Sagen über diese Höhle zu berichten. Der Ortsheiligen Notburga wegen war sie zu einiger Berühmtheit gelangt. Doch heute sind Notburga, Sage und Höhle gleichsam in Vergessenheit geraten.
Viele Versionen gibt es davon, was Notburga widerfahren sein soll. Allen gemein ist, dass sie in der Höhle am Neckarufer Zuflucht gefunden haben soll. Eine Tochter des Frankenkönigs Dagobert soll sie gewesen sein. Entsetzt von der Nachricht, einen heidnischen Slawen heiraten zu müssen, sei sie mit Hilfe eines Dieners von Burg Hornberg geflohen, heißt es in einer Version der Gebrüder Grimm. Diese Burg trutzt auch heute auf der anderen Seite über dem Neckar von der Höhe Neckarzimmerns aus.
Ein weißer Hirsch habe Notburga dann auf seinem Rücken schwimmend über den Neckar getragen. Der Hirsch brachte ihr jeden Tag Brot, das ihm der helfende Diener ins Geweih steckte. So kam der König der Tochter auf die Spur, folgte dem Hirsch und entdeckte sie in der Höhle betend vor einem Kreuz, so die Gebrüder Grimm.
Im Inneren der Höhle finden sich keine Spuren menschlicher Bewohnung: Kein Kreuz, kein Bettlager – nur kahle Wände und Geröll auf dem Boden. So bleibt es der Fantasie überlassen, sich Notburga in der kaum zwei Meter breiten und nur wenigen Meter tiefen Hohlraum vorzustellen. August Schnezler berichtet in seinen Badischen Sagen, wer hier den Namen der Heiligen ausrufe, höre diesen wie von Geisterstimme wiederholt. Ob dröges Echo oder Geistergeflüster muss jeder für sich entscheiden.
Notburga, die ihr Leben in Einsiedelei Gott gewidmet habe, soll sich geweigert haben auf des Vaters Burg zurückzukehren. Wütend habe er sie mit sich ziehen wollen und ihr dabei einen Arm ausgerissen.
Fortan sei sie von den Menschen als Heilige verehrt worden und reuige Büßer hätten sie in ihrer Höhle bis zu ihrem Ende aufgesucht. Ihr Leichnam soll von weißen Stieren wundersam über den Neckar getragen und in einer Kapelle in Hochhausen beigesetzt worden sein.
Tatsächlich befindet sich in der Notburgakirche in Hochhausen ein Sarkophag mit einer einarmigen Heiligenplastik auf dem Deckel. Darauf zu sehen ist die Heilige begleitet von einer Schlange, die sie in einer anderen Version der Sage in der Höhle mit Kräutern und Wurzeln versorgt habe.
Der historischen Überlieferung nach soll dort im 16. Jahrhundert auf Wunsch des Papstes der Sarkophag geöffnet und dort die Heilige auch nach Jahrhunderten unversehrt vorgefunden worden sein. Es ist eine Erzählung, die beispielhaft für die Verehrung und den Kult um Notburga in Mittelalter und früher Neuzeit steht. Die Aufnahme in die Sagen der Gebrüder Grimm und anderen konnte Notburga und ihre Zuflucht nicht vor dem Vergessen bewahren.